Zwei Messen, die im Übergang zur Sommerzeit nahtlos ineinander übergingen, das war anspruchsvoll. Aber auch ein großes Vergnügen, in so kurzer Zeit so vielen Menschen aus der Buchbranche zu begegnen, die alle ihre eigenen Perspektiven auf Herausforderungen wie Sinnstiftendes unserer Arbeit haben. In Leipzig und Bologna zeigte sich erneut, wie viel Kraft gerade in der Kinderbuchbranche steckt.
„Im Grunde sind wir doch alle Friedensarbeiter“, so brachte es Gerstenberg-Geschäftsführerin Daniela Filthaut in einem Gespräch auf den Punkt. Illustratorin Sybille Hein, die nach einer Weile in der Belletristik wieder tiefer ins Kinderbuch eingetaucht ist, verriet: „Innerlich fühle ich mich wie eine Konfettilandschaft.“ Und Buchhändlerin Gabi van Wahden (Buchhandlung van Wahden, Wermelskirchen) ließ Taten sprechen: Als der Leipziger Stand des Peter Hammer Verlags kurzfristig verwaist waren, weil die einen bei Veranstaltungen sprachen und die anderen in stark verspäteten Bahnen saßen, „kaperte“ sie ihn kurzentschlossen und übernahm in telefonischem Austausch mit Vertriebsfrau Susanne Blum die Betreuung inklusive Buchverkauf.
Tatsächlich ächzte die Leipziger Buchmesse von der Straßenbahn bis in die Hallen unter einem Besucherrekord, der alle froh machen sollte, auch wenn manch Organisatorisches (z.B. der Einlass) optimiert werden könnte. Die Fachbesucher-Messe in Bologna hat ähnliche Herausforderungen mit dem öffentlichen Nahverkehr, die inzwischen immer mehr Menschen dazu motivieren, zu Fuß zur Messe zu laufen – oder ein Fahrrad zu mieten. Um dort zu sein, wo sich die Branche trifft und präsentiert, nehmen viele Kosten und Mühen auf sich – und fahren oft inspiriert und motiviert wieder nach Hause, weil sie Gleichgesinnten begegnet sind und Neues entdeckt haben. Schauen wir auf die Inhalte.
Die Luchs-Preisverleihung der Wochenzeitung Die Zeit und des Senders Radio Bremen hat sich als stilvolle Auftaktveranstaltung für die Kinder- und Jugendbuchszene am Vorabend der Leipziger Buchmesse etabliert. In diesem Jahr wurden im Ringcafé gleich zwei Jahres-Luchse verliehen: An Michèle Fischels für ihre Graphic Novel Outline (Reprodukt) sowie an Eva Rottmann für ihre Kurzgeschichtensammlung Fucking fucking schön (Jacoby & Stuart). Zwei Kunstformen, die durch eine dritte geadelt wurden – die Laudatio von Barbara Yelin. Immer wieder schuf sie in persönlichen Worten und professionellen Betrachtungen Verbindungen zwischen beiden Büchern. Ein Ausschnitt aus Barbara Yelins Rede:
„Eine Geschichte, und das wird gerade in Eva Rottmanns Erzählungen so überzeugend deutlich, ist immer ein Ausschnitt, wie ein Panelrahmen, ein kleiner Teil einer viel größeren Geschichte. Der Anfang und das Ende sind nur begrenzt vom Rahmen der Geschichte, von der Klammer des Kapitels. Nicht aber von der Vorstellung der Leser*in. Denn wir, wenn wir lesen, sind Erweiterer. Wir können uns die Geschichten vorstellen, wir werden sie weiterdenken, werden mit den Protagonist*innen Möglichkeiten und Schwierigkeiten erfahren, und dann werden wir uns selbst in ihnen erkennen, denn das, und Sie wissen das alle – das ist die Kraft von Geschichten.“
Im Gespräch mit der Jury-Vorsitzenden und Zeit-Journalistin Katrin Hörnlein gab Michèle Fischels Einblick in die Recherchen, Skizzen und Farbpaletten ihres Debuts. Eva Rottmann verriet, dass sie noch nie ein Buch so schnell geschrieben habe wie Fucking, fucking schön – in nur einem Jahr – und sie sich freue, dass ihr Verlag auch bei der Wahl des Titels mitgegangen sei. Der Büchertisch der Connewitzer Verlagsbuchhandlung war im Anschluss gut besucht. Nur wenige im Raum wussten zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Eva Rottmann für denselben Band einen Tag später auf der Nominierungsliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis stehen sollte – und zwar in der Reihe der Bücher, die von der Jugendjury ausgewählt wurden. Da sage noch wer, realistisches Jugendbuch sei nicht gefragt.
30 Nominierungen, 29 Titel: Und die Welt, sie fliegt hoch (Rotfuchs) von Sarah Jäger und Sarah Maus ist sowohl von der Kritiker- als auch der Jugendjury ausgewählt worden. Auf der Großen Bühne in Halle 3 wurde die Liste von Moderatorin Vivianne Perkovic und Iris Kruse, Vorsitzende der Kritikerjury, sowie Vertreter:innen der sechs Leseclubs vorgestellt. Dazu gesellen sich Nominierungen von drei „NeuenTalente“ für den Sonderpreis Illustration.
Auffälligkeiten? Karen Köhler ist mit Himmelwärts (Hanser) auf der Liste gelandet und erhielt am Tag danach das Kranichsteiner Stipendium. Die Verlagsgruppe W1 kann sich über drei Nominierungen für Arctis-Titel freuen und eine für den NordSüd Verlag. Die Standnachbarn Moritz und Peter Hammer Verlag verzeichnen vier Nominierungen auf acht Quadratmetern. Gabriele Leja, Programmleiterin von dtv Reihe Hanser, freut sich über zwei Nominierungen – eine Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch und eine aus dem Russischen. Aber schauen und lesen Sie selbst: Hier finden Sie alle Titel auf einen Blick. Auf der Frankfurter Buchmesse werden wir erfahren, wer in den unterschiedlichen Kategorien gewinnt.
So aktuell manche Themen auch sind, die in Kinder- und Jugendbüchern verhandelt werden, Messen sind immer auch ein wenig ein Escape-Room, der die Teilnehmer:innen für eine Weile verdrängen lässt, was draußen vor den Hallen im Argen liegt. In Zeiten, in denen Kaufzurückhaltung kein Wunder ist, stellen sich viele die Frage, ob der Zenit von Genres wie Young und New Adult vielleicht schon überschritten ist.
Rund um die Leipziger Buchmesse schlugen die Meldungen von neuen Imprints zwar in einem Takt ein, den man sich für Messebusse in Bologna gewünscht hätte: COVE bei Carlsen, Blush bei Penguin Random House, Loomlight bei Thienemann (nicht neu, aber neu aufgestellt) – sogar Tessloff meldete den Einstieg, enthüllte ihn dann allerdings als Aprilscherz. Aber kann dieser Markt wirklich noch wachsen?
Eine ähnliche Frage stellt man sich für den Bereich Manga. Gewiss, die Begeisterung der zur Manga Comic Con in Leipzig Angereisten ist groß. Als ich am letzten Abend mit der Straßenbahn zurückfahre, steigt ein junger Mann ein, der gerade beim Versuch, sein Lieblingsbuch zu promoten, in das Wasserbecken auf dem Messevorplatz gefallen war. Alle anderen Manga-Fans um ihn herum rücken zusammen und beglückwünschen den Fan zu seinem Einsatz. Aber schlägt sich dieser Enthusiasmus auch in den Umsätzen des Buchhandels vor Ort nieder? Hin und wieder wird auch die Frage gestellt: Ist es egal, was die jungen Menschen lesen, Hauptsache, sie lesen überhaupt?
Urheber:innen wiederum machen sich Gedanken um ihre Zukunft in Zeiten von KI und fragen sich, ob sie ohne professionellen Einsatz von „Sozialen Medien“ überhaupt noch reüssieren können. Julie Weißbach z.B., die als Sängerin, Illustratorin, Podcasterin und Autorin unterwegs ist, fragt sich, wie sie in Leipzig die viel beschäftigten Verlagsmenschen ansprechen kann, um ihre Arbeit zu zeigen. In diesem Jahr hat sie einen besonders unglücklichen Moment erwischt, denn durch die Nähe zu Bologna sind in Leipzig ohnehin schon weniger Programmgestalter:innen zu finden als sonst. Aber ihr Portfolio ist hier zu entdecken – und einige schöne Gespräche hat sie am Ende auch geführt.
Mit eigenem Stand sind u.a. wieder Franziska Neubert und Petra Schuppenhauer in Halle 5 vertreten, an dem sie Druckgrafisches präsentieren, das sie auch unter der Adresse lieblingsdruck.de anbieten. Franziska arbeitet häufig für die Büchergilde und stellt neben vielen anderen Drucke zum Buch Der Winter dauerte 24 Jahre (poetenladen) von Marie T. Martin aus. Ein Prachtband mit Texten einer viel zu früh verstorbenen Dichterin.
Illustratorin und Autorin Kristina Andres wiederum hat zum ersten Mal neben ihren Drucken auch Keramiken mit dabei. Die Künstlerin, die in Mecklenburg-Vorpommern beheimatet ist, fertigt Teller und Tassen an der Drehscheibe und dekoriert mit ihren unverwechselbaren Tiermotiven. Außerdem bietet sie Honig aus eigener Produktion an. Analoger geht es kaum – und nach vier Tagen sind zwei große Kisten Steinzeug leerverkauft. Wer neugierig geworden ist: Sie hat auch einen Webshop. Sobald der nächste Ofenbrand fertig ist, wird er wieder aufgefüllt.
Hier ist es auch drängelig, aber auf eine familiäre Art. Die Internationale Kinderbuchmesse ist dem Fachpublikum vorbehalten, für alle Interessierten läuft parallel in der Stadt ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm. Man kann von Leipzig aus in gut zehn Stunden mit dem Zug über München anreisen, die wohl schönste Art, dort anzukommen. Am Sonntag vor Messebeginn präsentiert sich die Stadt in schönstem Sonnenschein, und am Abend treffen sich viele beim Empfang der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (avj) im Istituto di Cultura Germanica.
Gastland ist in diesem Jahr Estland, Kuratorin der Illustrations-Ausstellung auf der Buchmesse ist Bianka Soe. Sie führt auch durch die Präsentation im Palazzo d’Accursio an der Piazza Maggiore, wo Bilder der beteiligten Künstler auf Pappen aufgezogen wurden, die zu Häusern zusammengesteckt eine kleine Stadt ergeben. „Creative Citizens“ lautet das Motto.
Estland hat knapp 1,4 Millionen Einwohner:innen, Bianka Soe hat 30 Illustrator:innen für die Ausstellung ausgesucht, von denen einige nach Bologna angereist sind. Darunter etablierte Künstler:innen, aber auch einige, die noch keine Buchpublikationen vorzuweisen haben. In diesem Jahr feiert Estland auch das Erscheinen des ersten Buchs in estnischer Sprache vor 500 Jahren. Hier ein kleiner Bildrundgang:
Ukrainische Illustrationen
Im Jahr 2022 war auf der Bologna-Messe in Halle 26 ein verwaister Stand in den Farben blau und gelb zu sehen, unter dem Motto #StandWithUkraine. „Dies ist der ukrainische Stand. Dieser Stand ist vorübergehend leer. Er ist leer, weil die Ukrainer an der Front sind“, war damals dort zu lesen.
Im Jahr 2025 dauert der Krieg immer noch an. Es gibt einen ukrainischen Stand, der betreut wird, und für den Oleg Gryshchenko, Co-Kurator des Projekts Pictoric, eine Ausstellung unter dem Titel „Ukraine: gestern und heute“ zusammengestellt hat. Unter den zeitgenössischen Künstler:innen befinden sich u.a. Romana Romanyshyn und Anreiy Lesiv vom Studio Agrafka sowie Anna Sarvira.
Die ukrainische Illustratoren-Community entwickele sich trotz aller Herausforderungen durch die russischen Angriffe weiter und bleibe offen für einen globalen Dialog. Man bewahre kulturelles Erbe und blicke zugleich in der Welt der Kinderbuchillustration in die Zukunft.
Der Astrid Lindgren Memorial Award
Fester Treffpunkt im Illustratoren-Café ist am Dienstag Mittag die Bekanntgabe des mit etwa 460.000 Euro dotierte Astrid Lindgren Memorial Awards, die live aus Stockholm übertragen wird. In diesem Jahr gewinnt die Französin Marion Brunet, Jahrgang 1976, und nachdem ihr Name ausgesprochen ist, rührt sich erstmal nichts im Publikum.
Ihre Bücher sind bislang kaum übersetzt, auch nicht ins Deutsche, aber das könnte sich nun ändern. Als der Telefonanruf zu hören ist, mit dem die Preisträgerin informiert wurde, ändert sich die Stimmung im Publikum. Marion Brunet freut sich so sympathisch, dass man sich mitfreuen muss, und danach werfen alle die Suchmaschinen ihrer Handys an, um mehr über ihre Bücher zu erfahren.
Die Messe in Bologna ist für viele, die ihren Arbeitsalltag eher allein am Schreibtisch verbringen, ein verlockendes Highlight. Und so sind auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Illustrator:innen, Autor:innen und Übersetzer:innen angereist. Auf der Messe haben sie Veranstaltungen und schlendern durch die Hallen, in der Stadt sieht man sie zuweilen mit Skizzenbüchern. Die Verlagsleute wiederum nehmen Termine im Halbstundentakt wahr, genießen zwischendurch aber auch mal eine Pause für zufällige Gespräche auf den Gängen und vor den Hallen. Es sind vor allem diejenigen vor Ort, die Programme machen. Die Controller bleiben eher daheim, und wenn sie doch mitgereist sind, lassen sie sich von der entspannten Atmosphäre anstecken. Und das tut auch mal gut.
Und natürlich gibt es eine ganze Reihe von Ausstellungen zu sehen, man bräuchte eine ganze Woche, um allem einigermaßen gerecht zu werden. Die Illustratoren-Ausstellung auf der Messe ist eine Talentschau aus der ganzen Welt – hier kann man sich sich online umsehen . Das Cover des Katalogs hat diesmal Sydney Smith gestaltet, dessen Werke ebenfalls zu sehen sind. In der Stadt werden u.a. Sara Lundberg und Joëlle Jolivet mit Einzelschauen präsentiert. Und dann gibt es auch immer wieder die kleinen, feinen Geheimtipps, die großen Spaß machen. Daniela Kulot und Henning Löhlein hatten im vergangenen Jahr nach einem Kneipenabend mit dem Künstler Stefano W. Pasquini aus Bologna die Idee ausgeheckt, in diesem Jahr Arbeiten auszustellen, die abseits ihrer Tätigkeit als Kinderbuchillustrator:innen entstehen. Wie schön, dass es nicht bei einer Schnapsidee geblieben ist!
Henning Löhlein lud seine Bilder in den Transporter, fuhr von England nach Süddeutschland und holte Daniela Kulot samt ihrer Werke ab. Im Atelier von Stefano hingen sie dann ihre Bilder auf und luden an zwei Abenden alle Neugierigen auf ein Getränk und zum Schauen ein. Es wurde ein munterer Treffpunkt, an dem viele neue Gespräche entstanden.
Genau so bleiben Buchmessen, ob in Leipzig oder Bologna, unverzichtbare Treffpunkte für alle, die weiter lesen oder gerade damit anfangen. Denken wir zurück an die Laudatio von Barbara Yelin auf die Bücher von Michèle Fischels und Eva Rottmann:
„Ich habe länger darüber nachgedacht, weshalb solche Bücher wie diese beiden jetzt so wichtig sind.
Sie sind JETZT wichtig. Natürlich nicht nur jetzt, aber eben auch gerade jetzt.
Weil wir über das Zerspringen der uns bekannten Weltordnung in Gefahr laufen, eine Generation zu vergessen, deren Zukunft auf so vielfache Weise bedroht ist, durch Kriege, Krisen, Katastrophen, eine Generation, die ja gleichzeitig die riesigen Herausforderungen ihres Aufwachsens bewältigen muss.
Und weil das ja etwas miteinander zu tun hat.“
Wie in jedem Jahr: Danke für alle Gespräche und Hilfestellungen, Danke für das Vertrauen und alle neuen Ideen, die nur so entstehen können. Dies ist der erste Artikel auf BilderBuchMarkt.de, ab Juni wird es dann mehr zu lesen geben. Wer mag, kann sich gerne für den Newsletter eintragen, auch auf Instagram @bilderbuchmarkt wird es bis dahin immer mal wieder Neuigkeiten geben.
Die nächsten Termine für die Buchmessen in Leipzig und Bologna liegen wieder weiter auseinander. Leipzig: 19. bis 22. März 2026, Bologna: 13. bis 16. April 2026.
Ob Sie nun in die Osterferien starten oder an die Arbeit zurückkehren, viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen
Susanna Wengeler